Sonntag, 5. Februar 2012

The Artist / The Descendants

Da die letzte Woche Klausurvorbereitungen auf dem Plan standen, könnte ich nicht sofort ein paar Worte zu diesen beiden großen Oscar-Favoriten loswerden. Da der Großteil der Prüfungen jetzt aber geschafft ist, habe ich wieder die Zeit und Muße dazu. Bitteschön.

The Artist

Der große Oscar-Kandidat 2012. Mit Fug und Recht möchte ich behaupten. Selten hat man so viel Mut bewiesen, einen Stummfilm in Zeiten von 3D-Technologie und Bombast-Kino auf die Leinwand zu bringen. The Artist ist eine tiefe Verbeugung vor dem Film und seinen Ursprüngen selbst. Der geneigte Kinoliebhaber sollte diesen Film definitiv gesehen haben.

Kurz zum Inhalt. Wir bekommen den elegant-charmanten George Valentin (Jean Dujardin) zu sehen, die Stummfilm-Ikone schlechthin in den 20er Jahren Amerikas. Der geborene Entertainer, ein Meister seines Fachs, doch wohl auch etwas egozentrisch. Dieser George Valentin hat eigentlich alles, was man sich wünschen könnte und lernt dazu auch noch die bildhübsche Peppy Miller (Bérénice Bejo) kennen, welche jedoch, ohne dass es einer von den beiden ahnt, seine Karriere beenden wird. Denn der Stummfilm ist am Aussterben, der Ton erobert die Kinosäle. Das kommt Peppy Miller zu Gute, sie wird der neue Stern am Tonfilm-Himmel. George Valentin winkt nur ab, der Stummfilm ist die treibende Kraft, Filme mit Ton, wer braucht das schon? Doch er täuscht sich. Niemand interessiert sich mehr für den Stummfilm, Valentin versinkt in Vergessenheit, muss sein letztes Hemd hergeben und verfällt dem Alkohol...

Es ist wirklich erstaunlich, wie viel Freude einem The Artist macht. Meine Generation kam ja nie wirklich mit dem Medium Stummfilm in Kontakt, vielleicht hat man mal Charles Chaplin's Modern Times oder Laurel und Hardy auf arte gesehen. Doch dieses Gefühl einer neuen Technologie, die ersten bewegte Bilder, das konnte einer wie ich nie selbst erfahren. Umso schöner, dass Regisseur und Drehbuchautor Michel Hazanavicius sich diesem Thema angenommen hat und uns eine Welt zeigt, die schon lange vergangen und vielleicht sogar vergessen ist.

Konzentriert verfolgt man das Geschehen auf der Leinwand, exzellente Musikstücke begleiten dabei jene Schwarz-Weiß-Aufnahmen, welche einen ins Staunen versetzen. Der Film gewinnt unglaublich an Intensität, aufmerksam folgt man der Handlung, kein Detail möchte man übersehen, wo man sich sonst notfalls noch auf seine Ohren verlassen kann, wenn es um relevante Dialoge geht, das müssen jetzt die Augen durch reine Beobachtung übernehmen. Es gibt Aufnahmen und Szenenbilder, welche ein wenig klischeehaft wirken, was keinesfalls negativ zu verstehen ist, denn Hazanavicius und Co. geben ganz bewusst diesen speziellen Einblick in diese besondere Zeit des Filmemachens. Besonders schön gefällt mir die Prämisse, dass wir einen Stummfilm zu sehen bekommen, der zeigt, wie Stummfilme produziert und wahrgenommen wurden. Und selbst dann, als der Tonfilm bekannt und beliebt wird, bleibt The Artist trotzdem stumm und verzichtet auch weiterhin auf die Stimmen seiner Darsteller. Bis zum Ende zumindest, als wirklich gekonnt noch einmal diese Thematik aufgegriffen wird.

Wo wir schon bei den Darstellern sind. Großes Kompliment an jeden in diesem Film, ich stelle es mir nicht einfach vor, derartige Schauspielleistungen abzuliefern, welche nur auf Gestik und Mimik fußen. Jean Dujardin wurde bereits der Golden Globe verliehen und der Franzose hat ihn sich auch allemal verdient. Der heimliche Star ist jedoch ein kleiner Hund namens Uggie, welcher als stetiger Begleiter Valentin's zu sehen ist. Dieser Vierbeiner macht großen Spaß und zaubert einen ein Lächeln auf die Lippen.

The Artist ist ein außergewöhnlicher Film, der wunderbar an alte Zeiten erinnert und eindrucksvoll zeigt, welche Bedeutung der Film hatte und teilweise immer noch hat, auch wenn jährlich unzählige herzlose 0815-Blockbuster den Markt überschwemmen. The Artist lässt den Zuschauer schwelgen und genießen, das ist Kino für die Seele. Ich hätte mir vielleicht ein etwas tragischeres Ende gewünscht, doch spricht hier meine persönliche Präferenz. The Artist endet so, wie so viele Filme seiner Art: Mit einem Happy End. Denn das brauchten die Menschen in den 20er und 30er Jahren. Gebeutelt von der Finanzkrise und arg mitgenommen, konnte man sich immerhin noch auf eine Sache freuen: Das Kino. Und Filme wie es The Artist einer ist. 




The Descendants

Auch The Descendants gehört zum Kreis der heißen Oscar-Favoriten und vor allem George Clooney darf sich berechtigte Hoffnungen machen. Wie Jean Dujardin bekam auch er dieses Jahr einen Golden Globe als bester Hauptdarsteller, hier im Bereich Drama. Und ja, Clooney trägt The Descendants. Doch nicht alleine. Hier stimmt das Gesamtpaket und so bekommt man ein hervorragendes Familiendrama mit reichlich Tiefe zu sehen.

Beim Inhalt bediene ich mich beim Trailer (siehe unten): Matt King (George Clooney) hat es nicht leicht. Doch das geht vielen so, selbst im Urlaubsparadies Hawaii. Wie Hawaii? Da ist doch alles schön und da gibt's doch rund um die Uhr nur Cocktails zu schlürfen oder? Weit gefehlt, Hawaii, besser gesagt dessen Bewohner haben wie viele andere auch kleine bis mittelgroße Probleme zu bewältigen. Und einer dieser Bewohner ist eben Matt, der mit ansehen muss, wie seine Frau (Patracia Hastie), nach einem Motorbootunfall im Koma, langsam vor sich hinstirbt. Hinzukommt allerlei bürokratischer Stress für den Anwalt, welcher ein gigantisches Familiengrundstück demnächst im Sinne seiner Sippschaft für einen guten Preis verkaufen muss. Und natürlich machen ihm auch seine Kinder zu schaffen. Für diese hatte er nämlich nie wirklich Zeit und muss sich nun nach dem Unfall seiner Frau umso mehr um seine beiden Töchter Scottie (Amara Miller) und Alexandra (Shailene Woodley) kümmern. Wäre dies alles nicht genug, erfährt Matt auch noch, dass seine Frau ein Verhältnis mit einem anderem Mann hatte. Life's hard...

Dramen solcher Art findet man alle Jahre immer wieder, auf den ersten Blick erwartet man nichts Besonderes und eher Altbekanntes. Was The Descendants jedoch von dem Gros solcher Filme abhebt, ist die Nähe zur Realität. Regisseur Alexander Payne (Sideways) gelingt es unheimlich gut, ein lebensechtes Setting mitsamt passenden Charakteren zu schaffen. The Descendants fühlt sich nicht gespielt an, viele Aufnahmen wirken recht beiläufig und ohne Intention, eher so, als wenn man die Charaktere auf ihren Wegen einfach begleitet. Zusätzlich wird mit der Kulisse Hawaiis ein wunderschönes Szenenbild mit tollen Einstellungen aufgebaut, typisch volkstümliche hawaiianische Klänge dudeln melancholisch, aber oft auch sehr stimmungsvoll im Hintergrund, optisch und akustisch macht The Descendants wirklich was her.

Kommen wir zum entscheidenden Kriterium eines Dramas, die Charaktere und so auch ihre Darsteller. Hier greift erneut die Prämisse so lebensnah wie möglich. Clooney überzeugt vollends als überforderter Familienvater, der sich nicht nur auf die Suche nach Antworten auf seine vielen Fragen begibt, sondern auch auf eine Reise, die ihm zeigt, was wirklich wichtig ist. Dabei deckt Clooney sämtliche Facetten seines Charakters ab, doch bleibt vor allem sein großartiges Gespür für Understatement und Subtilität sowie seine Eigenart eines beherzten Sprints im Gedächtnis. An seiner Seite brillieren Shailene Woodley und Amara Miller, die beiden Töchter im Film. Insbesondere Woodley zeigt ihr ganzes Schauspielrepertoire. Ihre Rolle umfasst die Charakterzüge einer dickköpfigen, zickigen Heranwachsenden, doch spielt sie diese im keinsten Sinne klischeehaft, im Gegenteil, sie verleiht ihre Figur sehr viel Tiefe. Für ein paar komische Momente ist dann Nick Krause (Sid) verantwortlich, welcher einen Freund von Woodley's Alexandra spielt und die Familie King begleitet. Auch dieser Charakter bereichert den Film ungemein.

Der größte Schwachpunkt in The Descendants und ein möglicher Grund, warum sich einige nicht sehr angesprochen fühlen könnten, ist wohl, dass dieser Film in vielen Momenten nur dahinplätschert. Für ein Drama ist das Pacing in meinen Augen ausgezeichnet, vielen wird es jedoch stellenweise zu langatmig und ausladend erscheinen.

Wenn man sich jedoch die Zeit nimmt, dann kann einen The Descendants sehr berühren. Viele Aufnahmen wirken einfach und unkompliziert, doch sagen sie auch jedes mal eine ganze Menge aus. Hier muss oft zwischen den Zeilen gelesen werden, wovon man sich nicht abschrecken lassen sollte, da es sich wiederum lohnt. Beeindruckt hat mich das Bild von Hawaii, nicht nur optisch, sondern auch die Menschen, welche Alexander Payne uns zeigt. Vieles wirkt wie eine Maskerade, aber jeder hat seinen Kummer und eine Last, die er mit sich rumträgt, selbst der dümmlich-grinsende Sid. The Descendants ist ein schöner, sehr gut geschriebener Film, aus dem man viel mitnehmen kann und welchen man sich auf jeden Fall anschauen kann, vielleicht sogar sollte.



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