Dienstag, 28. Februar 2012

Oscarverleihung 2012


Montagmorgen, 5:46 Uhr. Die Augen sind schwer, die Wirkung mehrerer Tassen Schwarztees hat überraschenderweise schon längst wieder nachgelassen, mühsam richte ich mich auf, verschaffe mir einen kurzen Überblick und stapfe Richtung Badezimmer. Ging das letztes Jahr auch so lange? Ich weiß es nicht mehr und es ist mir auch egal. Ich schmeiße mich ins Bett und fröne des Studenten liebster Tätigkeit: Ich schlafe. Lang.


Eine Oscarverleihung geht an die Substanz. Insbesondere, wenn sie wie hier in Deutschland erst gegen 2:30 Uhr in der Früh beginnt und vorher einschläfernd vom Red Carpet am Kodak Theatre berichtet wird. Annemarie Warnkross mit Klatsch und Tratsch, Steven Gätjen live auf dem roten Teppich, Scott Orlin, Hollywood-Kenner und bekannt wie ein bunter Hund, schustert letzteren ein paar Stars und Sternchen zu. What? Pro Seven? German TV? Oh, ok, yes, but we don't have much time... Sacha Baron Cohen ist das Gesprächsthema auf dem Red Carpet, er legt einen eher speziellen Auftritt als Borat, ich meine Brüno, ach Quatsch, als Dikator hin. Mit Tennis-Doppel-Partner Kim Jong Il unterm Arm. Beziehungsweise, dessen Überreste. Samt Malheur. Typisch. Grenzwertig. Aber auf Cohen's bekannte Eigenart komisch. Ich fand's lustig.


Niemand hat wirklich Lust etwas zu sagen. Zumindest zu Pro7 und Steven Gätjen. Aber halt, ein Wim Wenders ist da. Da spricht doch gerne mit uns. George Clooney und Freundin Stacy Keibler hören Gätjen's Fragen, doch interessieren sich nicht wirklich dafür. Und Javier Bardem, Colin Firth und Co. sehen Scott Orlin wild herumwirbeln, lassen sich aber nicht dazu hinreißen, ein paar Worte mit Steven zu wechseln.

Schluss damit. Ich möchte endlich die Verleihung sehen. Kurz vor halb 3 bewegen sich die Massen energischer, es geht los. Eine gekonnte Video-Montage nach altbekannten Schemata flimmert über das Bild, Billy Crystal feiert diverse Gastauftritte in The Descendants, Hugo, Midnight in Paris etc., sogar als Tim von The Adventures of Tintin hat er sich verkleidet. Ja, das funktioniert jedes Jahr. Doch was hat Justin Bieber in diesem Beitrag verloren?


Es folgt der Opening Monologue von Crystal selbst, welche es sich nehmen lassen kann, daraus eine Broadway-esque Gesangseinlage zu machen. Nett. Charmant. Wer einen Billy Crystal bestellt, bekommt einen Billy Crystal. Doch zeigen sich hier die ersten Schwächen. Wäre ein frecher, unverschämt-ehrlicher Stand-Up-Auftritt á la Golden Globes-Ricky Gervais von Eddie Murphy nicht besser, erfrischender gewesen? Denn mehr als ein "Nett" oder "Charmant" verdient sich der Host und die Show selbst an diesem Abend bzw. in dieser Nacht nicht.


Die ersten Oscars werden verliehen. Wie üblich wird mit den eher unbedeutenden Kategorien begonnen, Kamera, Schnitt, Szenenbild. Scorsese's Hugo wird in der ersten Stunde der Oscars 2012 zum großen Abräumer, insgesamt 5 Mal geht der kleine goldener Mann an Scorsese's Film, Beste Visuelle Effekte, Bester Tonschnitt und Bester Ton, Beste Kamera und Bestes Szenenbild. Freude, aber zugleich ein wenig Ernüchterung. Die großen Kategorien kommen noch und wir bekommen die ganzen "kleinen" Oscars? Ist die Entscheidung dahingehend für The Artist gefallen? Diese Annahme bestätigt sich.


The Artist nimmt wie Hugo fünf Oscars mit nach Hause. Darunter Beste Filmmusik und Bestes Kostümdesign in den kleineren Kategorien. Doch dann auch die Beste Regie für Michel Hazanavicius. Genehmigt. Bester Hauptdarsteller für Jean Dujardin. Genehmigt. Und schlussendlich auch Bester Film. Genehmigt. Niemand ist überrascht. Spannung? Nur ein wenig.

Meryl Streep und Christopher Plummer holen sich wie erwartet ihre Auszeichnung als Beste Hauptdarstellerin bzw. Bester Nebendarsteller ab, Nick Nolte schaut finster und verunzelt in die Kamera. Octavia Spencer erleidet beinahe einen Nervenzusammenbruch, sie wird als Beste Nebendarstellerin für ihre Rolle in The Help ausgezeichnet. Woody Allen ist nicht da und gewinnt trotzdem. Die Academy hat ihn noch nie interessiert. Bestes Originaldrehbuch für Midnight in Paris. Meine Oscar-Tipps bestätigen sich allmählich. The Descendants für Bestes adaptiertes Drehbuch? Hätte ich nicht gedacht. Rango für Bester Animationsfilm! Juche!


George Clooney geht leer aus. Kopf hoch, du kannst es sogar bestimmt noch ein bisschen besser als in The Descendants. Beim nächsten Mal vielleicht. Auch Brad Pitt bzw. Moneyball muss die Segel streichen. Kein Preis. Schade. The Tree of Life. Nichts. Spielberg's War Horse. Nichts. So einfach geht es dann doch nicht lieber Steven, trotz toller Kameraarbeit von Janusz Kaminski und Filmmusik von John Williams.

Billy Crystal versucht sich als Gedankenleser. Nett. Charmant. Moment mal... Ich möchte ihm kein Unrecht tun, lustig war's. Aber kein Reißer. Die Laudatoren machen das Nötigste, Robert Downey Jr. und Gwyneth Paltrow treten als Tony Stark und Pepper Potts auf, Downey Jr. dreht nebenbei eine kleine Dokumentation, er holt sich seine Lacher ab. Chris Rock zeigt, wie eine Oscarverleihung mit Eddie Murphy hätte aussehen können. Eine verpasste Chance. Emma Watson weist Ben Stiller in die Schranken und macht großen Spaß. Die Bridemaids lassen sich auf der Bühne zu einem Trinkspiel hinreißen.Und Will Ferrell legt zusammen mit Zach Galifianakis einen orchestralen Auftritt hin. Ein paar Lichtblicke.


Tom Cruise kündigt die Kategorie Bester Film an. Irgendwas läuft hier verkehrt. Sandra Bullock spricht fließend Mandarin. Nein, sie spricht deutsch. Und das ziemlich gut. Christian Bale (der Nicht-mehr-so-Bärtige), Melissa Leo, Colin Firth, Natalie Portman, im Vorjahr die großen Gewinner. Nichts Besonderes bei ihren Ankündigungen, das Übliche halt. Michael Douglas ist zurück, gesund und munter, das freut einen. Ach ja, und dann wäre da noch Brad Pitt's Göttergattin, Angelina Jolie, welche so gleich einen neuen Trend setzt. Das Leg Bombing. Lasziv streckt sie ihr rechtes Bein hervor, ein tiefer Einschnitt in ihr Kleid lässt so manche Männerherzen höher schlagen und macht sie zum nächsten Internet-Phänomen/ Meme, Zielscheibe amüsanter Parodien und Top-Thema bei taff am Nachmittag auf ProSieben. Ohne Worte.


Insgesamt blicke ich ein wenig ernüchtert drein. Es war nicht sehr besonders. Normal, Durchschnitt. Besser als im letzten Jahr, auch wenn mir der Opening-Spoof von 2011 ein wenig besser gefiel. Billy Crystal machte es solide, doch die Academy hinkt hinterher. Der Altersschnitt der Entscheidungsträger ist erschreckend hoch. Frischer Wind ist vonnöten. Versucht es noch einmal mit Eddie Murphy. Oder eben Chris Rock oder Robert Downey Jr. Diese sind für die Bühne und die Show gemacht.

Es muss sich was ändern. Es war nicht schlecht, auf keinen Fall. Es war eine Reihe großartiger Filme, Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren etc. dabei, aber fehlten ebenso auch einige, was im Vorfeld für reichlich Kopfschütteln sorgte (Michael Fassbender; Shame, Drive oder Warrior in den wichtigen Kategorien). Wohin geht die Reise? Traut sich die Academy vielleicht im nächsten Jahr etwas? Ich würde es mir wünschen. Die Golden Globes sind beliebter denn je und haben die Oscars längst überholt. Ein Grund dafür ist Ricky Gervais. Der passenden Host wird gesucht und muss gefunden werden, sonst sehe ich schwarz. Und alte Strukturen müssen aufgebrochen werden, jüngere Mitglieder braucht die Academy, ansonsten bleibt es altbacken. Auf einen neuen Versuch im nächsten Jahr. Vielleicht werde ich dann einem Billy Crystal nachtrauern, der zu der Oscarverleihung 2012 eigentlich alles richtig und vieles sehr gut gemacht hat. Aber es geht meiner Meinung nach halt noch viel besser.

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